Haftungsfalle: Arglistige Täuschung bei nur stichprobenartiger Bauüberwachung

7 min.

Das OLG München stellt klar: Der bauleitende Architekt ist verpflichtet, dem Auftraggeber bei der Abnahme seines Werks zu offenbaren, dass er Teile der Ausführung des Bauwerks bewusst vertragswidrig nicht überwacht hat. Unterlässt er dies, hat er einen Mangel seines Werks arglistig verschwiegen.

OLG München, Urteil vom 31.07.2015 – 13U 1818/13 Bau; BGH, Beschluss vom 16.05.2018 – VII ZR 82/18 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen)

Sachverhalt:

In dem von dem OLG München als Berufungsgericht zu entscheidenden Fall wurde ein Architekt mit der Planung und Bauleitung (Leistungsphasen 1 – 9) eines Gymnasiums beauftragt. Im Rahmen der Errichtung des Gymnasiums sollten u.a. abgehängte Decken im Umfang von rund 10 000 m² errichtet werden. Bei diesem Gewerk handelte es sich um eine sog. Unterdecke. Diese sollte aus einer tragenden Unterkonstruktion aus Metallprofilen bestehen, welche wiederum durch Abhänger an die darüber befindliche tragende Decke befestigt sind. Unterhalb der Unterkonstruktion aus Metallprofilen wird die Deckenlage, bestehend aus Gipskartonplatten, mittels Schnellbauschrauben in die darüber befindlichen Tragprofile befestigt.

Nach der Abnahme der Werkunternehmerleistung stellten sich erhebliche Mängel an den vorgenannten Decken heraus: Sie wiesen in allen Räumlichkeiten im Hinblick auf die Übertragung ihrer Lasten auf die darüber liegenden tragenden Bauteile – insbesondere die Stahlbetondecken – keine sichere normkonforme und den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechende Übertragung der Lasten auf. Die maximal zulässigen Stützweiten bei den Abhängern und den Unterkonstruktionsmetallprofilen gemäß den Vorgaben des Systemherstellers wurden als erheblich überschritten festgestellt. Außerdem wurde festgestellt, dass die maximal zulässigen Randabstände zwischen tragenden Unter- und Abhängekonstruktionen an angrenzenden Bauteilen vielfach erheblich überschritten waren. In die Deckenlage aller Räume wurden Zusatzlasten in Form von Rundeinbauleuchten und Längsleuchten eingebracht. Zum Teil wurde auch Trafos auf die Beplankungen gelegt, welche ebenfalls Zusatzlasten mit sich bringen. Die eingebrachten Zusatzleistung wurden vielfach nicht durch zusätzliche abhängen in die darüber befindliche Tragkonstruktion abgetragen. Durch das Einfügen der Leuchten wurden tragrelevante Metallprofile entfernt oder durchtrennt.

Letztlich mussten sämtliche abgehängten Decke ausgetauscht werden, wofür Mangelbeseitigungskosten in Höhe von etwa 1 Mio. EUR angefallen sind.

Der in Anspruch genommene Architekt berief sich dem Auftraggeber gegenüber auf Verjährung. Er habe sich mit dem Auftraggeber darauf geeinigt, dass die Leistungsphase 9 am 31.10.2001 und damit mehr als sieben Jahre vor Erhebung der Gewährleistungsklage geendet habe.

Der Auftraggeber stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, die Verjährung sei bislang noch nicht eingetreten, da der Architekt seine Vertragspflichten massiv verletzt und ihn (den Auftraggeber und Kläger) hierüber arglistig getäuscht habe.

Das Erstgericht folgte dem Verjährungseinwand des Architekten und wies die Klage des Auftraggebers dementsprechend ab. Hiergegen wandte sich der Auftraggeber mit der Berufung zum OLG München und beantragte, den Architekten unter Aufhebung des Ersturteils zur Zahlung der Mangelbeseitigungskosten zu verurteilen.

Entscheidung:

Mit Erfolg! Das OLG München hob das erstinstanzliche Urteil auf und verurteilte den Architekten zur Zahlung der entstandenen Mangelbeseitigungskosten.

Hierzu führt das OLG München aus, der beklagte Architekt habe die ihm in den ihm übertragenen Leistungsphasen 8 und 9 obliegenden Pflichten in grober Weise verletzt.

Er habe angegeben, die Deckenkonstruktion stichprobenartig geprüft und einzelne Mängel festgestellt zu haben, die später auch beseitigt wurden. Da es sich bei der Montage der Trockenbaudecke aber nicht um eine handwerkliche Selbstverständlichkeit handele, sondern um ein schwieriges und anspruchsvolles Vorhaben, habe sich der bauüberwachende Architekt nicht auf Stichproben beschränken dürfen, sondern hätte diese Arbeiten intensiv und besonders sorgfältig überwachen müssen. Das habe er vorliegend aber nicht getan, da er die vorhandenen Mängel an der Unterdecke ansonsten erkannt hätte. Ein weniger nachlässiger Bauüberwacher hätte die streitgegenständlichen Mängel nach Ansicht des OLG ohne Weiteres erkannt.

Das OLG München kommt weiter zu dem Schluss, dass die Ansprüche gegenüber dem bauüberwachenden Architekten noch nicht verjährt seien.

Denn abweichend von der 5-jährigen Verjährungsfrist gemäß § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB verjähren die Ansprüche des Auftraggebers jedenfalls dann in der regelmäßigen Verjährungsfrist, wenn der Unternehmer den Mangel arglistig verschwiegen hat (§ 634a Abs. 3 Satz 1 BGB). Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht, bevor der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

Vorliegend sei die Arglist des bauüberwachenden Architekten zu bejahen. Denn arglistig handele der Unternehmer dann, wenn einen Mangel bzw. die für diesen ursächlichen vertragswidrige Ausführung der Werkleistung kennt oder die Möglichkeit seines Vorhandenseins billigend in Kauf nimmt, sich bewusst ist, dass der Mangel für die Entscheidung des Bestellers über die Abnahme erheblich ist und den Mangel nicht offenbart, obwohl er nach Treu und Glauben dazu verpflichtet ist.

Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt: Der Architekt sei verpflichtet, es dem Auftraggeber bei der Abnahme seines Werks zu offenbaren, wenn er Teile der Ausführung des Bauwerks bewusst vertragswidrig nicht überwacht hat. Unterlässt er dies, so habe er einen Mangel seines Werks arglistig verschwiegen. Ob er darauf vertraut habe, dass der Unternehmer mangelfrei gearbeitet habe, sei unerheblich. Der Architekt handele nämlich bereits dann arglistig, wenn er verschweigt, dass er Teile der Ausführung des Bauwerks bewusst vertragswidrig nicht überwacht hat.

Der Senat führt insoweit aus, dass der bauüberwachende Architekt arglistig gehandelt habe, da er seine Überwachungspflichten zum einen in besonders grober Weise verletzt habe und er angesichts der Komplexität des Bauvorhabens zum anderen davon habe ausgehen müssen, dass ihm deshalb etwaige Mängel der Deckenkonstruktion verborgen geblieben sein mussten.

Der Senat kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass dem Architekten bewusst gewesen sein muss, dass seine stichprobenartigen Kontrollen – soweit sie überhaupt durchgeführt wurden – keineswegs ausreichend waren, um etwaige Mängel zu erkennen. Da es sich um keine einfache, übliche Arbeit gehandelt habe, sondern um ein sehr anspruchsvoll Bauvorhaben, hätte er sich nicht im Wesentlichen auf die stichprobenartige der Kontrolle der Abstände der angebrachten Abhänger beschränken dürfen. Hätte er die erforderliche Überwachung nur ansatzweise ordnungsgemäß ausgeführt, wäre ihm z.B. nicht entgangen, dass Trag- und Grundprofile durchtrennt und keine sachgemäßen Umgehungen eingebaut wurden.

Der Umstand, dass der ausführende Bauunternehmer die Decke durchgehend grob mangelhaft ausgeführt habe und diese Mängel von dem bauüberwachenden Architekten unentdeckt geblieben seien, spreche dafür, dass auch diese seine Pflicht als bauüberwachender Architekt in gröbster Weise vernachlässigt habe. Dem Architekten sei aufgrund der massiven Verletzung seiner Architektenpflichten auch bewusst gewesen, dass er die Verpflichtung hatte, seine mangelhafte Bauüberwachung zu offenbaren.

Da der Auftraggeber die mangelhafte Pflichterfüllung durch den Architekten weder kannte noch kennen musste, sei der Anspruch des Klägers vorliegend noch nicht verjährt.

Praxishinweis:

Die vorliegende Entscheidung des OLG München, gegen die zunächst Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, diese aber schließlich zurückgenommen wurde, zeigt zweierlei:

Zum einen macht die Entscheidung deutlich, dass der Umfang der von dem mit der Bauüberwachung beauftragten Architekten geschuldeten Überwachungsleistungen stets im Einzelfall zu ermitteln ist, wobei nicht nur die Art der Arbeiten, sondern auch deren Umfang und Komplexität zu würdigen sind. So kann sich der überwachende Architekt beispielsweise nicht darauf verlassen, dass Trockenbauarbeiten stets handwerkliche Selbstverständlichkeiten darstellen, die keiner gesteigerten Bauüberwachung bedürfen.

Handelt es sich um keine handwerkliche Selbstverständlichkeit, darf sich der bauüberwachende Architekt auch nicht auf Stichproben beschränken, sondern muss diese Arbeiten gezielt und besonders sorgfältig überwachen (auch so etwa auch OLG Koblenz, Urteil vom 20.12.2012, 1 U 926/11 = IBRRS 2015, 0385).

Darüber hinaus macht die Entscheidung aber auch deutlich, dass der Weg zur Begründung einer Arglisthaftung des bauüberwachenden Architekten in dem Fall, in dem eine besonders grobe Pflichtverletzung festgestellt wird, unter Umständen sehr kurz ist. Denn das Vorliegen einer besonders groben Pflichtverletzung spricht nach dem vorliegenden Urteil des OLG München unter Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises dafür, dass dem bauüberwachenden Architekten sowohl die grobe Pflichtverletzung bewusst war, als auch der Umstand, dass er die Pflicht hatte, seine mangelhafte Bauüberwachung zu offenbaren.

Für die Praxis der Bauüberwachung bedeutet das vor allem, dass noch vor der Bauausführung genau zu prüfen ist, welche der künftig durchzuführenden Werkleistungen unter Umständen besonders überwachungs- und kontrollbedürftig sind und bei diesen Leistungen im Weiteren besonders auf eine detaillierte Dokumentation der Überwachungsleistungen zu achten.

Kontakt Ecovis:

Unternehmenskommunikation
Tel.: +49 89 5898-266 presse@ecovis.com

Weitere Infos:


Newsletter:
Das Wichtigste für Unternehmen aus Steuern, Recht und Wirtschaft.
Jetzt anmelden