Neuland Internet

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Die Pressekonferenz von Angela Merkel und Barack Obama im Juni 2013 war noch nicht vorbei, da rangierte ihr Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland“ schon unter den populärsten Begriffen im Netz.

Nachdem Spott und Häme über diesen Auftritt verklungen sind, richten sich die Augen der Politik auf den „richtigen“ politischen Umgang mit dem Internet. Industrie 4.0, Cloud Computing und Darknet rufen sie auf den Plan, die Wettbewerbs- und die Wirtschaftspolitiker, die Innovations- und die Medienpolitiker, die Sicherheits- und die Gesundheitspolitiker. Eine Erkenntnis verfestigt sich bei den in Ressortstruktur und Zuständigkeitsabgrenzung geübten Berufspolitikern aller Ministerien: Es ist wie mit dem kleinen Kind und den warm gewordenen Gummibärchen: „Mami – die kleben ja alle zusammen!“

Der Ruf nach einem Digitalministerium wird laut (BMWi: Digitale Strategie 2025, März 2016, S. 55 f.). Hier sollen einzelne Zuständigkeiten für Wettbewerbs-, Markt- und Verbraucherfragen im Zusammenhang mit der Digitalisierung zusammengefasst werden.

  • Erkennbarer Vorteil: Das Thema Digitalisierung und Internet wird politisch aufgewertet.
  • Erkennbarer Nachteil: Allein das Fehlen der hochrelevanten Segmente aus Innen- und Sicherheitspolitik in dem Vorschlag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) lässt kaum den beabsichtigten Koordinationsvorteil eintreten.

Was braucht es wirklich?

Im angemessenen, politischen Umgang mit digitaler Kommunikation und digitalen Märkten ist zunächst eine hohe Expertise für deren Strukturen, Prozesse und Technik erforderlich. Es gibt im Grunde für die Politik kaum neue Aufgabenstellungen.

Menschen interagieren mit Menschen. Sie machen das über technische Infrastrukturen. Sie reden viel – auch viel Unfug – , kaufen Überflüssiges und Lebensnotwendiges. Dies geschieht täglich milliardenfach und weltweit. Es gibt auch Scharlatane und schlechte Menschen, wie im realen Leben. Sie versuchen, sich über Betrug zu bereichern oder sie wollen das technisch Mögliche für die dunkle Seite der Macht nutzen. Die gute Nachricht ist, dass diese bereits heute immer phantasievoller werden müssen, da im gewöhnlichen Internet des Jedermann kaum noch etwas unentdeckt bleibt.

Wirklich neu – neben der rasanten und noch ständig zunehmenden Transaktionsgeschwindigkeit – sind mit politischer Relevanz nur sehr wenige Entwicklungen:

1. Es ist einem einzigen Anbieter grundsätzlich möglich, eine globale Nachfrage zu befriedigen. Es gibt keine Grenzen für ein digitales Angebot – soweit politische Autoritäten in den jeweiligen Ländern Angebote zulassen. Die Skalierbarkeit digitaler Produkte auf Basis einer „Null-Grenzkosten-Produktion“ beflügeln jeden Anbieter, eine markbeherrschende Stellung erreichen zu wollen.

  • Hier sind wettbewerbspolitische Fragen zu klären.

2. Netzwerkeffekte und Verfügbarkeit von Daten schaffen Markteintrittsbarrieren. Die Gleichzeitigkeit von Datenspeicherung und Datenbeschaffung beim Anbieter digitaler Produkte verhindern den Marktzugang von Wettbewerbern. Wer die Daten hat, besitzt die Macht.

Gibt es vor dem Hintergrund der Skaleneffekte eine „mindestoptimale Datenmenge“, die ein Startup benötigt, um im Markt eine Chance zu haben? Behindern dominante Anbieter damit deren Entstehen? Ist das Vorhandensein dominanter Anbieter eine Markteintrittsbarriere per se?

  • Auch hier sind wettbewerbspolitische Fragen zu klären.

3. Der Besitz von Daten allein ist für eine Marktentwicklung irrelevant. Erst deren Rekombination, Vermischung mit weiteren Daten, die auf zusätzlichen Wegen beschafft wurden, und der Verkauf an fremde Dritte respektive Nutzung derselben für zum Beispiel individualisierte Werbung, Reduktion von Angeboten auf das vermeintlich individuell Relevante sind kritische Entwicklungen.

„Big Data“ entzieht sich weitgehend der üblichen Marktbeobachtungssysteme, unter anderem weil sie nahezu ausnahmslos preisbasiert, aber in der Digitalwirtschaft die freizügige Preisgabe von Daten selbst der Preis für die Annahme eines digitalen Angebotes sind. Daten als Währung ist das eigentlich Neue. Gleichzeitig sind Daten der limitierende Faktor für einen Markterfolg. Auch können Daten mehrfach verwendet werden, sind also für den, der sie besitzt, ein Produkt an sich.

Demgegenüber ist nachvollziehbar, dass Daten eine begrenzte zeitliche Relevanz besitzen – sie müssen ständig aktuell gehalten werden, haben also ohne weitere Datenhygiene einen abnehmenden Grenznutzen.

  • Hier sind datenschutz- wie auch wettbewerbsrechtliche Fragen zu klären.

4. Wesentliche Entscheidungen in digitalen Geschäftsmodellen werden vom Kunden getroffen. So entscheidet (noch) jeder Markteilnehmer selbst über seine Endgeräte oder seine Anschlusstechnologie in das Internet. Hier bedarf es der kritischen Beobachtung von Kooperationen von Marktteilnehmern und Anbietern technischer Infrastrukturen.

  • Hier sind also erneut wettbewerbsrechtliche Fragen zu klären; möglicherweise sind auch kartellrechtliche Fragen zu diskutieren.

Weitere grundsätzlich neue Fragen im Zusammenspiel der digitalen Wirtschaft im Unterschied oder in Ergänzung zur analogen Wirtschaft mag es geben, sie drängen sich jedoch (noch) nicht auf. Aktuell ist politischer Handlungsbedarf in einem ordnungspolitischen Sinn insbesondere in Fragen der Wettbewerbspolitik und bei dem Datenschutz gegeben.

Ansonsten wird schnell deutlich, dass eine politische Reaktion auf die Digitalisierung aller Lebensweltbereiche mit der Schaffung eines Digitalministeriums eher unangemessen erscheint. Außer der Aufwertung der Thematik an sich, darf kaum Konstruktives erwartet werden. Das umso mehr, als dass weit mehr Lebensbereiche betroffen sind, als von den in Diskussion stehenden Ministerien abgedeckt werden.

Die Mechanismen der nationalen Ordnungspolitik erscheinen ausreichend, sie müssen nur auf die digitalen Verhältnisse angepasst werden. Ergänzende Regelungen sind im Bereich der Wettbewerbs- und der Datenschutzbestimmungen zu treffen. Und: Das Internet ist global. Selbst gesamteuropäische Regelungen würden noch nicht einmal mehr als 5 Prozent der Weltbevölkerung und weniger als 1 Prozent der aktuell aktivsten Internetunternehmen erfassen.

Einige kleine juristische Nadelstiche erreichen die Konzerne, aber deren Credo lautet: „There is no money without money! So – let´s pay and earn“! Eine regional begrenzte, allenfalls europäische ordnungspolitische Nachjustierung werden sie kaum ernst nehmen.

Autor: Dr. Thomas Wegner, Unternehmensberater bei Ecovis in Hamburg, thomas.wegner@ecovis.com

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