Tax Complexity Survey: Welche Steuervorschriften Unternehmen am meisten belasten
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Tax Complexity Survey: Welche Steuervorschriften Unternehmen am meisten belasten

Seit 2016 veröffentlichen die Universität Paderborn und die Ludwig-Maximilians-Universität München alle zwei Jahre die Studie Global MNC Tax Complexity Survey. Unter den 15 befragten internationalen Netzwerken und Unternehmen für Steuerdienstleistungen in knapp 100 Ländern konnte auch ECOVIS International seine Erfahrungen einbringen. Über die Ergebnisse berichtet Professorin Caren Sureth-Sloane, Universität Paderborn, im Interview.

Frau Prof. Sureth-Sloane, welche Steuervorschriften haben Sie weltweit untersucht?

Wir haben ein breites Spektrum an Steuervorschriften untersucht. Dazu zählen sowohl klassische Regelungen wie der gesetzliche Steuersatz, Abschreibungen, die Besteuerung von Dividenden- und Veräußerungsgewinnen sowie die Verlustverrechnung als auch Vorschriften, die spezielle grenzüberschreitende Sachverhalte betreffen. Dazu zählen etwa die Hinzurechnungsbesteuerung, Verrechnungspreise oder Maßnahmen, die eine Mindestbesteuerung sicherstellen sollen. Ebenso haben wir die steuerlichen Regeln für Umwandlungen, Investitionsanreize sowie die Besteuerung von Zinsen oder Lizenzen untersucht. Insgesamt betrachten wir die 15 wichtigsten Steuervorschriften aus der Gewinnbesteuerung für grenzüberschreitend tätige Unternehmen.

Geht Ihre Untersuchung über Steuervorschriften hinaus?

Ja, denn wir analysieren auch steuerliche Rahmenbedingungen und steueradministrative Prozesse, beispielsweise in Gesetzgebungsverfahren, bei Zahlungs- und Meldepflichten sowie in Betriebsprüfungen oder Einspruchsverfahren. So können wir die Komplexität der Steuerregime ganzheitlich erfassen.

Was bedeutet denn Komplexität in Ihrer Studie?

Die Studie misst die Komplexität nationaler Körperschaftsteuersysteme aus der Perspektive multinationaler Unternehmen. Grundlage ist der Tax Complexity Index, für den erfahrene Steuerberaterinnen und Steuerberater der größten internationalen Steuerberatungsgesellschaften und -netzwerke befragt wurden. Mithilfe dieses Index messen wir die von den Expertinnen und Experten wahrgenommene Komplexität in jedem Land. Der Index setzt sich aus zwei Teilbereichen zusammen. Einerseits gibt es den Tax-Code-Subindex, der die wahrgenommene Komplexität der inhaltlichen Steuervorschriften, zum Beispiel Vorschriften zu Dividenden, Verlustverrechnung oder Verrechnungspreisen, abbildet. Andererseits gibt es den Tax-Framework-Subindex, der die wahrgenommene Komplexität administrativer Prozesse und institutioneller Rahmenbedingungen erfasst. Dazu gehören Gesetzgebung, Erklärungspflichten oder Steuerprüfungen. Ziel ist es, die wahrgenommene steuerliche Komplexität für Unternehmen in der Breite systematisch und vergleichbar darzustellen.

Welche ist die weltweit für Unternehmen am schwierigsten umzusetzende Steuervorschrift?

Seit 2016 stufen die befragten Expertinnen und Experten Verrechnungspreise weltweit als den komplexesten steuerlichen Regelungsbereich für Unternehmen ein.

Woran liegt es, dass die Komplexität so hoch ist? Sind die Gesetze schlecht gemacht?

Die hohe steuerliche Komplexität hat vielfältige Ursachen. Staaten nutzen Steuerpolitik zunehmend strategisch: um Investitionen anzuziehen, die Befolgung steuerlicher Pflichten zu erleichtern und aggressive Steuergestaltungen einzudämmen. Doch genau diese Zielvielfalt führt im Ergebnis oft zu komplexeren Gesetzen und Vorschriften.

Die Steuerregeln sind Ausdruck politischer Aushandlungsprozesse auf nationaler wie internationaler Ebene – etwa in der EU oder bei der OECD. Dabei stehen sich teils widersprüchliche Ziele gegenüber: faire, standortübergreifende Besteuerung, Standortattraktivität, rechtliche Klarheit und Einzelfallgerechtigkeit. Die daraus resultierenden Kompromisse führen oft zu schwer verständlichen Regelungen, die regelmäßig nachjustiert werden, und das schafft zusätzliche Unsicherheit. Ein Beispiel: Die steigenden Dokumentationspflichten, insbesondere bei den Verrechnungspreisen, wurden in unseren Befragungen als einer der Haupttreiber von Komplexität genannt.

Zudem entstehen durch unklare Gesetze und Auslegungsspielräume, auch im Rahmen von Betriebsprüfungen, steuerliche Unsicherheiten und Komplexität. Die Regelungen sind nicht notwendigerweise schlecht gemacht, sondern spiegeln wider, wie regulatorischer Konsens in einem internationalen Kontext über viele Stufen letztlich zustande kommt und schließlich in nationales Recht überführt wird. Im Ergebnis ein hochkomplexes Regelwerk, was sich auch in der steueradministrativen Umsetzung zeigt. Komplexität lässt sich nicht vollständig vermeiden. Unsere Analysen zeigen jedoch, in welchen Bereichen sie besonders ausgeprägt ist – etwa bei Verrechnungspreisungen und in vielen steueradministrativen Prozessen – und geben Orientierung, wo gezielte Vereinfachungen sinnvoll wären.

Hat sich die Steuerkomplexität insgesamt verändert, weltweit und insbesondere in Deutschland?

Seit vielen Jahren ist die Steuerkomplexität stetig gestiegen. Im Jahr 2022 konnten wir erstmals weltweit keine Zunahme der wahrgenommenen Steuerkomplexität feststellen. Aktuelle Daten aus dem Jahr 2024 zeigen jedoch erneut einen Anstieg der Komplexität, sowohl weltweit als auch in Deutschland.

Auf welchem Platz liegt Deutschland?

Im Jahr 2024 liegt Deutschland im weltweiten Vergleich des Tax Complexity Index auf Platz 41 der 71 Länder, die in unserem Index enthalten sind.

Was machen Länder, in denen die Steuerkomplexität nicht so hoch ist, anders?

Diese Länder setzen stärker auf Pauschalierungen und Freigrenzen. Dadurch gelten komplexe Regelungen und Berichtspflichten gezielt nur für große Unternehmen, die tatsächlich alle relevanten Tatbestände in hohem Maße erfüllen. Andere Länder haben ihre Steuererklärungs- und Betriebsprüfungsprozesse systematisch vereinfacht – etwa durch Digitalisierung, klarere Zuständigkeiten oder standardisierte Verfahren.

Gibt es eine Korrelation von Wirtschaftswachstum und Steuerkomplexität?

Studien zeigen, dass die Komplexität der steuerlichen Rahmenbedingungen Investitionen im Durchschnitt behindert. Nur wenige große, multinationale Unternehmen sind in der Lage, auch Vorteile aus der steuerlichen Komplexität in ihren Investitionsprogrammen zu realisieren. Es sind vor allem die großen Unternehmen, die die hohe Komplexität der steuerlichen Regulierung bewältigen können. Es zeigt sich jedoch auch deutlich, dass Unternehmen aller Größenordnungen mit erheblichen Befolgungskosten konfrontiert sind. Zu diesen Kosten zählen beispielsweise zusätzliche Steuerrisiken sowie zusätzliche Personal- und Beratungskosten. Diese zusätzlichen Kosten müssen erwirtschaftet werden und binden Ressourcen, die nicht mehr für Innovationen genutzt werden können. Dies betrifft nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Finanzverwaltung, die ebenfalls an ihre Kapazitätsgrenzen stößt.

Welche Steuervorschrift in Deutschland ist die komplexeste?

Im Jahr 2024 wurden die Verrechnungspreisvorschriften in Deutschland erneut als der komplexeste Regulierungsbereich eingestuft. Auf Platz zwei folgen die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung. Diese spielen bei der Besteuerung in grenzüberschreitenden Konzernstrukturen eine bedeutende Rolle und gelten insbesondere aufgrund ihrer erheblichen Auslegungsunsicherheit als sehr anspruchsvoll.

Haben Sie einen Vorschlag, wie sich Komplexität verändern ließe?

Auf Basis der Daten zu den Haupttreibern der Komplexität können wir zwei zentrale Ansatzpunkte identifizieren: Erstens könnte ein Abbau bürokratischer Anforderungen, insbesondere von Dokumentations- und Meldepflichten, dazu beitragen, die von Unternehmen wahrgenommene Belastung zu verringern. Dazu gehört auch, mehrfache Berichtspflichten abzubauen. Zweitens wäre ein leichterer, schnellerer und kostengünstigerer Zugang zu steuerlicher Sicherheit im Vorhinein ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Solche Maßnahmen könnten die subjektiv empfundene Komplexität spürbar mildern, ohne die Substanz der steuerlichen Regelungen zu verändern.

Wie schätzen Sie die Mitwirkung von Ecovis in der Studie ein, gibt es Vergleiche mit anderen Netzwerken?

Wir freuen uns sehr, dass ECOVIS International auch im Jahr 2024 einen wichtigen Beitrag zur Erhebung unseres Tax Complexity Index geleistet hat. Im Vergleich zu 2022 ist die Teilnahme von Ecovis um rund 70,6 Prozent gestiegen. Das hat uns nicht nur besonders gefreut, sondern ist auch von außerordentlicher Bedeutung für die Breite und Validität unserer Analysen. Für dieses so wichtige Engagement bedanken wir uns. Wir sind allen teilnehmenden Netzwerken und Gesellschaften dankbar für ihre Unterstützung. Ohne deren Expertise und Engagement wären die Erhebung der Daten, Erstellung und die umfassende Validierung unseres Index in dieser Form nicht möglich gewesen.

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