Fortführungsprognose nach IDW S11: Wie Sie drohende Insolvenz frühzeitig erkennen und abwenden
Der Satz „Wird schon wieder“ ist in Betrieben so alltäglich wie gefährlich. Schwindende Liquidität und Verluste verwandeln Hoffnung schnell in ein hohes Risiko, denn das deutsche Insolvenzrecht ist unerbittlich: Unwissenheit schützt die Geschäftsführung nicht vor persönlichen Haftungsrisiken. Klarheit darüber, ob eine Krise nur vorübergehend ist oder bereits eine handfeste Insolvenzgefahr besteht, schafft die Fortführungsprognose. Johannes List kennt die Details.
Was ist die Fortführungsprognose?
Grundsätzlich muss jeder Jahresabschluss unter der Annahme der Unternehmensfortführung (Going-Concern-Prinzip) aufgestellt werden. Das bedeutet, man geht davon aus, dass das Unternehmen in absehbarer Zukunft weiterbestehen wird.
Diese Annahme ist allerdings hinfällig, sobald es Anzeichen für eine bestandsgefährdende Entwicklung gibt. Dies können sinkende Umsätze, der Verlust wichtiger Kunden, geplatzte Finanzierungen oder anhaltende Verluste sein.
Ab diesem Zeitpunkt kehrt sich die Beweislast um: Die Geschäftsführung muss nun aktiv und fundiert nachweisen, dass das Unternehmen die Krise überwinden und fortbestehen kann. Die einfache Annahme genügt nicht mehr, es muss eine positive Fortführungsprognose erstellt und dokumentiert werden.
Die drei Insolvenzgründe: Wann wird es rechtlich kritisch?
Das deutsche Insolvenzrecht (Insolvenzordnung – InsO) kennt drei Gründe, die eine Geschäftsführung zum sofortigen Handeln zwingen:
- Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO): Der offensichtlichste Fall. Das Unternehmen kann seine fälligen Zahlungspflichten nicht mehr erfüllen. Eine Zahlungsstockung von weniger als 3 Wochen ist in der Regel unschädlich, aber eine Liquiditätslücke von 10 % oder mehr begründet die Zahlungsunfähigkeit.
- Drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO): Hier wird es vorausschauend. Das Unternehmen ist zwar noch liquide, aber es ist absehbar (Prognosezeitraum meist 12 bis 24 Monate), dass es seine zukünftigen Zahlungsverpflichtungen nicht wird erfüllen können. Dies ist der wichtigste Anwendungsfall für eine Fortführungsprognose nach IDW S11.
- Überschuldung (§ 19 InsO): Dieser Tatbestand ist für Kapitalgesellschaften (GmbH, AG) relevant. Eine Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Unternehmens die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Aber: Eine rechnerische Überschuldung führt nicht zur Insolvenzantragspflicht, wenn eine positive Fortführungsprognose besteht!
Wann wird aus der Prognose eine Pflicht nach IDW S11?
Sobald Indizien für eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder eine bilanzielle Überschuldung vorliegen, reicht eine simple Liquiditätsplanung nicht mehr aus. Die Geschäftsführung ist gesetzlich verpflichtet, unverzüglich eine tiefgehende Analyse durchzuführen. Der vom Institut der Wirtschaftsprüfer entwickelte Standard IDW S11 gibt hierfür den Rahmen vor.
Eine Fortführungsprognose nach IDW S11 ist eine formalisierte und gerichtsverwertbare Beurteilung. Sie besteht im Kern aus zwei Elementen:
- Erfolgskonzept: Zeigt auf, welche konkreten Restrukturierungsmaßnahmen (z.B. neue Produkte, Kostensenkungen, Personalabbau) geplant sind, um das Unternehmen wieder in die Gewinnzone zu führen.
- Integriertes Finanzkonzept: Ein detaillierter, monatlicher Finanzplan, der beweist, dass die Liquidität im gesamten Prognosezeitraum (mindestens für das laufende und das folgende Geschäftsjahr) jederzeit ausreicht, um alle Verbindlichkeiten zu bedienen.
Die Kernfrage, die das IDW S11 Gutachten beantwortet, lautet: Besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Sanierung gelingt und die Zahlungsfähigkeit erhalten bleibt?
Die persönliche Haftung der Geschäftsführung
Das Thema Fortführungsprognose ist Pflicht und kein „Kann“. Ignoriert die Geschäftsführung die Krisensignale, stellt sie keine oder nur eine mangelhafte Prognose auf und meldet sie eine Insolvenz zu spät an (Insolvenzverschleppung), haftet sie mit ihrem Privatvermögen für die entstandenen Schäden.
Eine nach IDW S11 erstellte, positive Fortführungsprognose ist daher das wichtigste Dokument zur Enthaftung der Geschäftsleitung. Sie beweist, dass die Situation erkannt, analysiert und mit einem tragfähigen Konzept adressiert wurde. Fällt die Prognose negativ aus, ist der Weg zum Insolvenzgericht unausweichlich, aber er erfolgt dann rechtzeitig und geordnet.
Ausblick
Das rechtzeitige Prüfen einer Überschuldung und einer drohenden Zahlungsunfähigkeit ist die oberste Pflicht jeder verantwortungsvollen Unternehmensleitung. Die IDW S11 Insolvenz-Prüfung ist dabei kein Feind, sondern ein wertvolles, wenn auch schonungsloses Instrument zur Früherkennung.
Sie schafft Klarheit in unsicheren Zeiten und ist die Grundlage für jede erfolgreiche Sanierung. Wer die Augen vor der Realität verschließt, riskiert nicht nur sein Unternehmen, sondern auch seine persönliche wirtschaftliche Existenz. Wer die Situation hingegen proaktiv mit einer fundierten Fortführungsprognose angeht, schafft die Basis, um das Steuer noch herumzureißen und das Unternehmen sicher in die Zukunft zu führen.