Koalitionsvertrag: Die Pläne der Ampelkoalition
Der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition ist seit 24.11.2021 öffentlich. Die Ecovis-Expertinnen und -Experten haben ihn durchgesehen. Wie die künftige Regierung ihre Pläne finanzieren will, bleibt abzuwarten. Die Meldepflicht für nationale Steuergestaltungen hält Ecovis-Vorstand Ferdinand Rüchardt allerdings für „völligen Quatsch“. Hier die Übersicht der wichtigsten Pläne für Unternehmen und Privatleute.
Die Pläne für Unternehmen
Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro
Der gesetzliche Mindestlohn soll in einer einmaligen Anpassung auf 12 Euro je Stunde steigen. Dies soll wohl bereits 2022 geschehen. Danach soll die Mindestlohnkommission weitere Anpassungen wie bisher vorschlagen. Laut einer Studie wären von der Erhöhung auf 12 Euro etwa 8,6 Millionen Arbeitnehmer betroffen.
Mini- und Midijobs
Die Midi-Job-Grenze steigt von 1.300 auf 1.600 Euro. Künftig orientiert sich die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden zu Mindestlohnbedingungen. Sie wird dementsprechend mit Anhebung des Mindestlohns auf 520 Euro erhöht.
Mehr Kontrollen bei Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung
Ein klares Bekenntnis enthält der Koalitionsvertrag zu Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung. Die Ampelkoalitionäre wollen Verstöße bei Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung gegen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz durch effektivere Rechtsdurchsetzung verhindern, was wohl mehr Kontrollen bedeuten wird. Arbeit auf Abruf soll es auch künftig geben. Und: Den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld will die Ampelkoalition nach der Corona-Pandemie noch einmal auf den Prüfstand stellen – vor allem im Hinblick auf Menschen mit geringem Einkommen.
Rentenversicherungspflicht für Selbstständige
Selbstständige sollen zukünftig in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Dies soll für alle Selbstständigen gelten, die ein neues Gewerbe oder eine neue selbstständige Tätigkeit anmelden. Sie sollen sich jedoch von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreien lassen können, wenn sie eine andere Absicherung nachweisen können.
Förderung von Start-ups und innovativen Unternehmen
Nach dem Willen der künftigen Regierung sollen sich Unternehmen einfacher gründen lassen. Ziel ist es, dass sich ein neues Unternehmen innerhalb von 24 Stunden gründen lässt. Weiteres Mittel zur Förderung von Gründung und Innovation soll die Verbesserung oder Anhebung der bisherigen Steuerfreibeträge für die Beteiligung von Mitarbeitern am Unternehmen sein. Ferner soll es neue Rechtsformen für Unternehmen geben: Künftig soll es Sozialunternehmen oder Gesellschaften mit gebundenem Vermögen geben. Die Gesellschaften schütten keine Gewinne oder nur in sehr geringem Umfang an die Anteilseigner aus. Dafür sollen die Gesellschaften ihre Gewinne in Innovation, Nachhaltigkeit und Mitarbeiter investieren.
Weniger Lebensmittel und neuwertige Waren vernichten
Die neue Koalition will die steuerliche Abzugsfähigkeit von Sachspenden verbessern und so Anreize schaffen, dass Unternehmen ihre Waren und Lebensmittel nicht vernichten, sondern für gemeinnützige Zwecke einsetzen. Hierfür soll es auch verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen geben.
Hilfen für Unternehmen fortsetzen, bis die Corona-Krise überwunden ist
Die kommenden Regierungsparteien wollen die Neustarthilfen und Überbrückungshilfe III plus weiter fortsetzen, solange es die Corona-Krise erfordert.
Steueranreize für Filmförderung
Auf dem Gebiet der Filmförderung hat sich die neue Regierung darauf verständigt, dass es für sie zusätzliche Steueranreize geben soll. Leider enthält der Koalitionsvertrag keine genaueren Aussagen über die konkretere Ausgestaltung.
Meldepflicht für Steuergestaltungen
Für international agierende Unternehmen hat bereits die bisherige Regierung eine Meldepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen auf den Weg gebracht. Schon bei dieser Änderung wurde im Gesetzgebungsverfahren laut darüber nachgedacht, ob man so eine Meldepflicht für Steuergestaltungen nicht auch für rein nationale Fälle einführen soll. Dies ließ sich bisher vermeiden, aber die Ampel springt auch hier auf Rot: Nun will sie auch eine Meldepflicht für rein nationale Steuergestaltungen einführen. Von der neuen Meldepflicht sollen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 10 Millionen Euro betroffen sein.
Mehr Formalien sind zu befürchten
Am Trend der letzten Jahre, dass das Steuerrecht immer formeller wird, wird sich so schnell nichts ändern. Im Gegenteil, eine Verstärkung des Trends wird nicht ausbleiben. Was sich zunächst sehr innovativ und modern anhört, nämlich der Ausbau der Digitalisierung in der Steuerverwaltung, bedeutet auf der anderen Seite mehr strukturierte Prozesse. Formelle Voraussetzungen sind für Maschinen einfacher zu prüfen und zu beurteilen, als sich mit komplexen Sachverhalten, die es in der Realität nun mal gibt, auseinanderzusetzen.
Klares Bekenntnis zur 1-Prozent-Regel
Viele befürchteten eine höhere Besteuerung von Dienstwagen. Aber – zumindest zwischen den Zeilen – enthält der Koalitionsvertrag ein Bekenntnis zur 1-Prozent-Regel.
Elektromobilität bei Dienstwagen
Die Handschrift der ambitionierten Klimaziele im Koalitionsvertrag ist auch bei der Neuausrichtung der Besteuerung von Elektrofahrzeugen zu erkennen. So soll die 0,5-Prozent-Regel nur noch für Hybridfahrzeuge gelten, die mehr als 50 Prozent elektrisch fahren. Ist das nicht nachweisbar, entfällt der Vorteil und die Nutzung des Dienstwagens wird regelbesteuert (1-Prozent-Regel). Nur für reine Stromer oder auch für völlig CO2-neutrale Fahrzeuge soll es bei der bisherigen günstigen 0,25-Prozent-Regelung bleiben.
Innovationsprämie für den Kauf von E-Autos bis Ende 2025
Die Ampelkoalition will die Innovationsprämie (9.000 Euro für reine E-Autos und 6.750 Euro für Plug-in-Hybride) zur Unterstützung der Anschaffung elektrischer Pkw unverändert nach der bisherigen Regelung bis zum 31. Dezember 2022 fortführen. Ab 2023 soll es sie nur noch für Kfz geben, die nachweislich einen positiven Klimaschutzeffekt haben, der über einen elektrischen Fahranteil und eine elektrische Mindestreichweite definiert ist. Die elektrische Mindestreichweite der Fahrzeuge muss bereits ab 1. August 2023 80 Kilometer betragen. Nach 2025 sei die Innovationsprämie nicht mehr notwendig.
Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter
Unternehmen, die 2022 und 2023 in Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter investieren, sollen einen Anteil der Anschaffungs- und Herstellungskosten der im jeweiligen Jahr angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, vom steuerlichen Gewinn abziehen können („Superabschreibung“).
Erweiterte Verlustverrechnung
Die Ampelkoalition will die erweiterte Verlustverrechnung bis Ende 2023 verlängern und den Verlustrücktrag (leider steht im Koalitionsvertrag Verlustvortrag) auf die zwei unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeiträume ausweiten.
Vereine sollen sich politisch äußern können ohne Verlust ihrer Steuerprivilegien
Gemeinnützige Organisation sollen sich innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen können sowie gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden. Es soll handhabbare, standardisierte Transparenzpflichten und Regeln zur Offenlegung der Spendenstruktur und Finanzierung geben.
Lineare Abschreibung für den Neubau von Wohnungen
Geplant ist, die lineare Abschreibung für den Neubau von Wohnungen von zwei auf drei Prozent anzuheben.
PV-Anlagen-Pflicht für Gewerbebauten
Die Ampelkoalition will alle geeigneten Dachflächen künftig für Solarenergie nutzen. Bei gewerblichen Neubauten soll dies verpflichtend sein, bei privaten Neubauten die Regel.
Für alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
Absetzbarkeit von Homeoffice bis Ende 2022 verlängern
Die künftige Ampelkoalition möchte die aktuell gültige steuerliche Regelung des Homeoffice für Arbeitnehmer bis zum 31.12.2022 verlängern und evaluieren. Aktuell gilt: fünf Euro pro Homeoffice-Tag und höchstens 600 Euro im Jahr können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für Homeoffice absetzen. Mehr dazu unter Homeoffice-Pauschale: Regierung einigt sich auf 5 Euro pro Tag (ecovis.com)
Sparerpauschbetrag soll auf 1.000 Euro steigen
Die Ampelkoalition will den Sparerpauschbetrag ab 2023 von aktuell 801 Euro auf 1.000 Euro beziehungsweise von 1.602 Euro auf 2.000 Euro bei Zusammenveranlagung erhöhen.
Haushaltsnahe Dienstleistungen: Steuerfreier Zuschuss für Kinderbetreuung und Förderung
Bei den haushaltsnahen Dienstleistungen plant die neue Regierung die Einführung oder Verbesserung von steuerfreien Arbeitgeberzuschüssen für familien- und alltagsunterstützenden Dienstleistungen, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern soll. Gleichzeitig soll eine steuerliche Förderung solcher Beschäftigungsverhältnisse erfolgen.
Förderung der Pflegeberufe
Die Corona-Krise zeigte, wie wichtig Pflegekräfte für ein Land sind. Die künftige Regierung will die Pflegenden nicht nur mit warmem Applaus abspeisen. Vielmehr will sie einen steuerfreien Pflegebonus von 3.000 Euro einführen oder ihn erhöhen. Ferner sollen es für die Angestellten in Pflegeberufen steuerfreie Zuschläge geben.
Reform der Steuerklassen bei Ehegatten
Bisher können sich Verheiratete aussuchen, ob sie die Steuerklasse IV/IV (gegebenenfalls mit Faktorverfahren) oder III/V wählen. Nach dem Willen der Neukoalitionäre soll es künftig dank digitaler Unterstützung nur noch die Kombination der Steuerklasse IV mit individuellen Freibetragsanpassungen geben. Die Steuerklassenkombination III/V führt in vielen Fällen zu einer Benachteiligung des geringer verdienenden Ehegatten. Durch die individuelle Freibetragsanpassung soll zukünftig gewährleistet sein, dass die Steuerlast gerechter zwischen den Ehegatten verteilt ist.
Beitragssatz in der Rentenversicherung steigt
Der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung soll bis 2025 maximal auf 20 Prozent ansteigen. Aktuell liegt er bei 18,6 Prozent. Diese Erhöhung würde bei einem monatlichen Bruttolohn von 2.500 Euro eine zusätzliche Belastung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer von jeweils 17,50 Euro bedeuten.
Bezahlbarer Wohnraum für alle
Um den steigenden Mieten entgegenzuwirken, will die Ampelkoalition gemeinnützige Wohnungsunternehmen mit Investitionszulagen und Steuervorteilen fördern. Sie will in einzelnen Pilotprojekten testen, ob sich aus den Daten der Steuererklärungen ein belastbarer Mietspiegel ableiten lassen kann.
Grunderwerbsteuerentlastung fürs Eigenheim
Die Preissteigerungen der letzten Jahre im Wohnungs- und Immobilienmarkt machen den Traum vom Eigenheim immer teurer oder gar unmöglich. Hier will die Ampelkoalition den zuständigen Ländern in der Grunderwerbsteuer die Möglichkeit für entsprechende Freibeträge eröffnen. Finanzieren will sie diese Wohltat durch das Stopfen von Steuerschlupflöchern bei der Grunderwerbsteuer durch Share Deals.
Kindergeld und Kinderfreibeträge
Die neue Koalition will sich stärker für Alleinerziehende einsetzen. Hier soll es eine Steuergutschrift geben. Weitere steuerliche Anreize soll es auch bei der partnerschaftlichen Betreuung der gemeinsamen Kinder nach einer Trennung geben. Ferner wird das bisherige System von Kindergeld und Kinderfreibetrag reformiert. Es soll künftig aus einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag bestehen und aus einer einkommensabhängigen Zusatzkomponente.
Dieselprivileg fällt
Schlechte Nachrichten für Dieselfahrer. Die Ampelkoalition will die bisherigen Kfz-Steuervorteile für Dieselfahrzeuge abbauen. Sie führt die Umsetzung der EU-Energiesteuerrichtlinie ins Feld, die unter anderem die Angleichung von Dieselkraftstoff und Benzin vorsieht.
Für Rentnerinnen und Rentner
Abschaffung der Doppelbesteuerung von Renten
Die Richter des Bundesfinanzhofs äußerten in diesem Jahr in mehreren Urteilen, dass die Doppelbesteuerung von Renten unzulässig ist. Diese tritt ein, wenn die Beiträge für die Rente nicht voll steuerlich abzugsfähig sind, die Renten aber voll besteuert werden. Die Ampelkoalitionäre haben sich daher verständigt, dieser drohenden Doppelbesteuerung entgegenzuwirken. So wollen sie einerseits den vollständigen Abzug von Rentenversicherungsbeiträgen bei der Steuer schon ab dem Jahr 2023 einführen, statt bisher 2025. Andererseits wollen sie die Rente nicht schon im Jahr 2040 in voller Höhe besteuern, sondern erst ab 2060. Bisher steigt für jeden Rentnerjahrgang der Anteil der Rente, der besteuert wird, um jährlich ein Prozent. Dieser Anstieg verlangsamt sich dann auf 0,5 Prozent pro Jahr ab dem Jahr 2023.
Einordnung: Nationale Meldepflicht von Steuergestaltungen „ist völliger Quatsch“
‚Finanzielle Solidität und der sparsame Umgang mit Steuergeld sind Grundsätze unserer Haushalts- und Finanzpolitik‘, so steht es im Koalitionsvertrag. „Wenn den Koalitionären dieser Satz mal nicht auf die Füße fällt“, sagt Ferdinand Rüchardt, Vorstand bei Ecovis, „die Ampelkoalition hat dieses Selbstverständnis in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Hoffentlich halten sich alle Beteiligten daran. Wenn die Corona-Krise noch länger dauert, stellt sich die Frage, wo das Geld für die vielen Vorhaben herkommen soll“, sagt Rüchardt
Die Meldepflicht von nationalen Steuergestaltungen hält Rüchardt allerdings „für reinen Unfug: Das würde einen Steuerpolizeistaat bedeuten, wenn wir als Steuerberater unseren Mandanten zu legalen Steuergestaltungen raten und diese Gestaltungen gleichzeitig den Finanzämtern melden müssen“, kritisiert er. Fraglich aus seiner Sicht ist, wer die ganzen Meldungen auswerten soll. Bei 80.000 Steuerberatern in Deutschland und zwei Mandantengesprächen täglich könnte das 160.000 Meldungen pro Tag ergeben. Bei 220 Arbeitstagen im Jahr kämen grob gerechnet 35,2 Millionen Meldungen zusammen. „Sollen das die Finanzbeamten auswerten und mit welchem Zeitaufwand? Aus meiner Sicht ist das völliger Quatsch.“