Geplante „Fortentwicklung“ der StPO – ein weiterer Eingriff in die Beschuldigtenrechte?
Eine vom BJMV geplante Gesetzesneuerung der StPO, unter dem Deckmantel, „das Strafverfahren weiter an die sich ständig wandelnden gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen anzupassen“, sorgt derzeit für Wirbel.
Der umstrittene Entwurf sieht unter anderem eine Erweiterung des § 95 StPO vor: in § 95a StPO-E soll für die Zukunft die Möglichkeit geschaffen werden, bei Durchsuchungen und Beschlagnahmungen die bislang gebotene Benachrichtigung darüber an die beschuldigte Person zeitweise zurückzustellen. Was bedeutet dies für die Rechtspraxis?
Sinn und Zweck des Gesetzesentwurfs
Laut BMJV soll die Neufassung der StPO in erster Linie dazu dienen, der Aufklärung von Straftaten oder der Bestrafung des Täters zum Schutz der Bürger besser nachzukommen.
Zurückstellung von Benachrichtigungen geplant
In der geplanten Version des § 95a StPO-E soll jedoch entgegen der Regelungen in § 33 und § 35 StPO die Möglichkeit bestehen, dass Beschlagnahmungen und Durchsuchungen bei unverdächtigen Dritten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens geheim gehalten werden können. Dies ist nicht ganz unkritisch zu sehen: wird eine Person nicht ausdrücklich über gegen sie laufende Ermittlungsmaßnahmen unterrichtet und Maßnahmen im Verborgenen geführt, ist eine erhebliche Einschränkung von Grundprinzipien des Rechtsstaats zu befürchten, insbesondere des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs.1 GG).
Es gibt viele gute Gründe für die bisher grundsätzlich offene Gestaltung von Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere die Wahrung von Grund- und Beschuldigtenrechten, sodass aus Verteidigersicht eine Einschränkung dieser Rechte zu befürchten ist. Aus Sicht der Ermittlungsbehörden besteht hingegen durch die Änderung in Zukunft die Möglichkeit, eine Benachrichtigung über laufende Ermittlungsmaßnahmen zurückzustellen, damit Ermittlungen ungehindert fortlaufen und leichter Beweise liefern können.
Gemischte Reaktionen aus der Praxis
Der deutsche Richterbund beispielsweise unterstützt die Reform der StPO aus letztgenanntem Grund. Ermittlungen – vor allem im Bereich des Waffenhandels oder der Staatsschutzdelikte – könnten so in Zukunft erleichtert werden. Zudem seien die Voraussetzungen des § 95a StPO-E sehr eng gefasst, sodass eine Zurückstellung der Benachrichtigung nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen möglich sei. Eine generelle Anwendung dieser Vorschrift wäre demnach nicht gegeben.
Die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Strafrecht fiel im Gegensatz dazu zu Recht kritischer aus: demnach sei lediglich eine ständige Ausweitung von Eingriffsbefugnissen unter Beschränkung von Beschuldigtenrechten erkennbar. Eine Gesamtreform des Strafverfahrens bliebe so weiterhin ausstehend.
Big Brother is watching you?
Die Neufassung bestimmter Teile der StPO – sollte der Gesetzesentwurf in dieser Form beschlossen werden – muss kritisch hinterfragt werden. Solange eine beschuldigte Person nicht über Durchsuchungen oder Beschlagnahmen informiert wird und diese Maßnahmen in aller Heimlichkeit ablaufen, kann sie sich weder gegen die Maßnahmen noch gegen den Vorwurf an sich wehren. In der Praxis erweisen sich viele Vorwürfe, die von den Ermittlungsbehörden erhoben werden, als nicht zutreffend. Solange der Betroffene und die Verteidigung hiervon aber keine Kenntnis haben, kann keine Verteidigung stattfinden und unberechtigte Ermittlungsmaßnahmen können nicht eingedämmt werden. Es besteht die große Gefahr, dass Ermittlungsverfahren unnötig in die Länge gezogen werden, da niemand die Ermittler auf einen etwaig vorhandenen Irrtum hinweisen kann.
1984 liegt eigentlich schon lange zurück, „Fortentwicklung“ und gesetzliche Neuerungen gehen auch unter Wahrung der Grundrechte.