Scheinselbstständigkeit prüfen: So schützen Sie sich vor Nachzahlungen
Flexibel und günstig? Warum freie Mitarbeiter für Betriebe teuer werden können, wenn die Scheinselbstständigkeitsfalle zuschnappt.
Gerade in Krisenzeiten mit unsicheren wirtschaftlichen Aussichten scheuen sich Betriebe häufig, neue Mitarbeiter einzustellen. Was liegt da näher, als auf Selbstständige zurückzugreifen? Die Vorteile liegen auf der Hand: Sie bringen Expertenwissen mit, das sich eigene Mitarbeiter nicht erst mühsam aneignen müssen. Sie sind flexibel einsetzbar und erheblich günstiger als Festangestellte, weil keine Lohnnebenkosten anfallen. Den Betrieb mit freien Mitarbeitern am Laufen halten – das scheint ein Paradies für Unternehmer.
Doch wie so oft im Paradies: Irgendwo lauert die Schlange. Die heißt in diesem Fall Scheinselbstständigkeit. Und die kann richtig teuer werden. Denn wenn bei einer Prüfung durch Finanzamt oder Rentenversicherung festgestellt wird, dass es sich gar nicht um einen Selbstständigen handelt, sondern die Tätigkeit als abhängige Beschäftigung anzusehen ist, drohen empfindliche Nachzahlungen und Strafen. Nicht gezahlte Lohnnebenkosten sind zu entrichten; je länger das Arbeitsverhältnis dauert, desto mehr summiert sich auf. Dazu kommen empfindliche Säumniszuschläge.
Zudem genießt der neue Angestellte natürlich den vollen arbeitsrechtlichen Schutz, Kündigungsfristen sind einzuhalten und er hat Urlaubsanspruch – je nach Einzelfall auch rückwirkend. Dazu kommt: Wird nachgewiesen, dass der Unternehmer vorsätzlich die Sozialversicherungspflicht umgehen wollte, ist in der Regel der Straftatbestand des „Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt“ erfüllt. Das kann ein Strafverfahren mit allen Konsequenzen nach sich ziehen.
Den Einzelfall prüfen
„Es sind also doch einige Regeln zu beachten“, sagt André Rogge, Steuerberater bei Ecovis in Dresden. Ob es sich um eine Scheinselbstständigkeit handelt oder nicht, ist dabei immer im Einzelfall zu beurteilen. Doch es gibt einige Hinweise. Ist der freie Mitarbeiter beispielsweise weisungsgebunden, ist das ein Hinweis auf Scheinselbstständigkeit. Ebenso verhält es sich mit der Einbindung in die Organisation, zum Beispiel wenn der Selbstständige in den Dienstplänen auftaucht oder wenn er Betriebsmittel wie einen Firmenlaptop nutzt.
Für eine echte Selbstständigkeit dagegen sprechen beispielsweise die Höhe der Vergütung (je höher der Stundensatz, desto eher wird Selbstständigkeit angenommen), ein Marktauftritt des Freiberuflers, beispielsweise ein eigener Internetauftritt, oder die projektbasierte und damit auch zeitlich befristete Tätigkeit für das Unternehmen. „Leider gibt es aber nicht das eine Kriterium, das Klarheit schafft“, erklärt Anne-Franziska Weber, Rechtsanwältin bei Ecovis in München. „Der Gesetzgeber hat keine fixen Einzelmerkmale vorgegeben. Es ist immer eine Gesamtabwägung der Umstände.“
Die Verträge richtig gestalten
Das Beste ist daher, bereits vor Beginn eines Auftragsverhältnisses abzuwägen, wofür man den Experten genau einsetzen möchte. Denn oftmals ist eine Festanstellung dann vielleicht doch die bessere Wahl. „Wir beraten dazu gern im Vorfeld eines Auftragsverhältnisses und können auch prüfen, ob ein Vertrag mit einem Selbstständigen sauber formuliert ist“, sagt Weber. Rechtssicherheit aber bedeutet das nicht. „Wir raten daher immer zum Statusfeststellungsverfahren“, ergänzt Weber.
Aber was ist eigentlich mit den vermeintlichen Selbstständigen? Sollten sie nicht auch an den Nachzahlungen beteiligt werden? Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts macht Hoffnung (Urteil vom 26. Juni 2919, Aktenzeichen 5 AZR 178/18). In dem Fall ging es um zu viel bezahltes Honorar an den Selbstständigen. Das Gericht urteilte, dass der Stundensatz geringer ausgefallen wäre, hätte der Arbeitgeber den betreffenden Mitarbeiter als Angestellten und nicht als Selbstständigen bezahlt.
Zu viel gezahlten Lohn zurückfordern
Hier kann sich also ein Gang vors Gericht lohnen, um zumindest den zu viel gezahlten Lohn vom freien Mitarbeiter zurückfordern zu können. „Die großen Nachforderungen aber treffen in der Regel den Arbeitgeber“, sagt Ecovis-Steuerberater Rogge. Auch die in der Praxis häufig genutzte Bestätigung des Selbstständigen, dass er sich selbst um seine Sozialversicherungsbeiträge kümmert, ist vor Gericht wertlos, gibt Rogge zu Bedenken: „Papier ist geduldig. Es gilt letztlich immer nur das tatsächlich gelebte Arbeitsverhältnis. Die beste Vorsorge ist und bleibt das Statusfeststellungsverfahren.“
So läuft das Statusfeststellungsverfahren
Das kostenlose Verfahren klärt verbindlich für alle Träger der Sozialversicherung den Status einer Person, ob sie also als Selbstständiger oder als abhängig Beschäftigter anzusehen ist. Durchgeführt wird es von der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung. Den Antrag dazu kann der Arbeitgeber genauso stellen wie der freie Mitarbeiter selbst. Mehr dazu auch hier: www.clearingstelle.de
Anne-Franziska Weber, Rechtsanwältin bei Ecovis in München
André Rogge, Steuerberater bei Ecovis in Dresden