Geschäftsführerhaftung: Neue Handlungspflichten für die Unternehmensleitung
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Geschäftsführerhaftung: Neue Handlungspflichten für die Unternehmensleitung

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Die Krisen der vergangenen Jahre brachte die Wirtschaft in massive Turbulenzen. Viele Geschäftsführungen stehen jetzt vor der Herausforderung, Schieflagen zu bewältigen und bei steigenden Zinsen die Liquidität zu erhalten. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg müssen sie nun auch noch neuen Handlungspflichten nachkommen.

Auch wenn die Bundesregierung die Wirtschaft während der Pandemie mit Maßnahmen, etwa Kurzarbeitergeld, Überbrückungshilfen oder mit Unternehmenskrediten, stützte, schlittern viele Betriebe jetzt nach dem Wegfall der Hilfen in die Krise. „Wegen der parallel steigenden Zinsen ist der Blick nun auf die Unternehmensliquidität zu richten“, sagt Ecovis-Unternehmensberater Holger Fischer aus Nürnberg.

Bei den Bestandsverträgen verteuern sich seit Monaten die Kontokorrentkredite und die variablen Darlehen. Für 2023 ist zu erwarten, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen in Stufen weiter anhebt. Wesentlicher Bezugspunkt ist der Refinanzierungssatz der Kreditinstitute (EZB-Leitzins). Seit dem 10. März 2016 betrug dieser Zinssatz null Prozent. Der historische Höchstsatz seit 2000 lag bei 4,75 Prozent (5. Oktober 2000). Ende Februar 2023 lag der Zinssatz vor der nächsten EZB-Sitzung mit geldpolitischer Entscheidung am 16. März 2023 bei 3,0 Prozent.

Was der Zinssatz für Unternehmen bedeutet

Unternehmen, die im Rahmen der Corona- Hilfe beispielsweise KfW-Darlehen aufgenommen hatten, griffen häufig auf Programme zurück, die zunächst für zwei Jahre tilgungsfrei gestellt wurden. Der im Jahr 2020 aufgelegte KfW-Schnellkredit hat eine Laufzeit von zehn Jahren bei einem Zinssatz von drei Prozent. Er ist nach maximal zwei tilgungsfreien Jahren, die Unternehmen wahlweise in Anspruch nehmen können, innerhalb von weiteren acht Jahren zu tilgen. Drei Prozent Zinssatz waren bei den damaligen geldpolitischen Rahmenbedingungen nicht das günstigste Angebot. „Vor dem Hintergrund der komplexer gewordenen Prüfungsprozesse der Banken, war dies tatsächlich eine schnelle Hilfe. Jetzt aber ist hoch und schnell zu tilgen“, weiß Fischer.

Es ist damit insgesamt anspruchsvoller geworden, das Unternehmen durch diese Herausforderungen zu steuern, und die Themenpalette ist vielfältig: Personalknappheit, Inflation, steigende Zinsen, gestörte Lieferketten. Der Geschäftsführung ist durch das GmbH-Gesetz, das Handelsgesetzbuch und durch Rechtsauslegungen ein Handlungsrahmen gesetzt, den sie beachten müssen. Dabei stehen die Liquidität und damit die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens im Fokus, um nicht Richtung Insolvenz zu schlittern. Für Geschäftsführer geht es darum, Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit, prognostische Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsstockung zu vermeiden.

„Grundsätzlich gilt zu jedem beliebigen Zeitpunkt, die Liquidität des Unternehmens und damit auch die Handlungsfähigkeit zu erhalten“, sagt Fischer. Ist die dauerhafte Liquidität nicht mehr gewährleistet und auch nicht wiederherzustellen, muss ein Geschäftsführer handeln.

Rechtzeitig handeln und persönliche Haftung vermeiden

Handelt der Geschäftsführer nicht oder nicht rechtzeitig, wenn das Unternehmen in Schieflage gerät, droht in letzter Konsequenz die persönliche Haftung. „Unter Umständen kann das auch Straftatbestände erfüllen“, warnt Marcus Büscher, Rechtsanwalt bei Ecovis in Düsseldorf. Hinzu kommt: Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat mit seinem Urteil vom 30. März 2022 (12 U 1520/19) die Anforderungen an Geschäftsführer nun noch einmal klarstellend verschärft.

Hintergrund des Urteils war eine zivilrechtliche Schadenersatzklage einer Kommanditgesellschaft gegen den Geschäftsführer ihrer Komplementärin. Ein Mitarbeiter der im Mineralölhandel tätigen KG hatte durch Manipulationen und Überschreitung von Kompetenzen dafür gesorgt, dass Kunden der KG den eingeräumten Kreditrahmen zum Teil deutlich überschreiten konnten. Der endgültige Zahlungsausfall der Kunden durch Insolvenz führte bei der KG zu einem Schaden. Die KG nahm daraufhin den Geschäftsführer der Komplementärin wegen Pflichtverletzungen in Anspruch.

Bereits die Vorinstanz, das Landgericht Nürnberg-Fürth, hatte der KG einen Schadenersatz eingeräumt und dem Geschäftsführer eine sorgfaltswidrige Führung der Geschäfte bescheinigt. „Der Geschäftsführer hat pflichtwidrig gehandelt, da er versäumt hat, im Rahmen von internen Strukturen und Prozessen ein rechtmäßiges und effektives Handeln zu gewährleisten“, erklärt Büscher das Urteil.

Mit der Implementierung von Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen hätte die Begehung von Rechtsverstößen durch die Gesellschaft und deren Mitarbeiter verhindert werden können, argumentierte das Gericht. Denn: Ein Geschäftsführer oder ein Vorstand muss sich an der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns messen lassen. Bei Verletzung dieses Grundsatzes haftet er der Gesellschaft gegenüber für den entstandenen Schaden und ist zum Ersatz verpflichtet.

Was das Urteil für Geschäftsführer bedeutet

Aus dem Urteil lässt sich herauslesen, dass Geschäftsführer verpflichtet sind, ein Compliance-Management-System einzurichten. Sie müssen organisatorische Vorkehrungen treffen, die verhindern, dass die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter Rechtsverstöße begehen können.

„Der Geschäftsführer ist nach dem Urteil also verpflichtet, den Betrieb so zu überwachen oder überwachen zu lassen, dass er unter normalen Umständen mit einer ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann“, erklärt Büscher. Darüber hinaus muss eine Geschäftsführung sofort eingreifen, wenn sich auch nur Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten zeigen.

Das OLG Nürnberg sieht bereits eine Pflichtverletzung bei der Geschäftsführung, wenn durch unzureichende Organisation, Anleitung oder Kontrolle den Mitarbeitern der Gesellschaft Straftaten oder sonstiges Fehlverhalten ermöglicht oder auch nur erleichtert werden. Kontrollen dürfen nicht erst dann einsetzen, wenn Missstände entdeckt werden. Wenn Kontrollen nicht ausreichen, um Mitarbeitern zu verdeutlichen, dass die Geschäftsführung Verstöße entdeckt und ahndet, sind sogar weitergehende Maßnahmen zu ergreifen.

Das Gericht sieht im Ergebnis eine generelle Compliance-Verpflichtung der Geschäftsführung. Dazu zählen Überwachungspflichten, Vorkehrungen organisatorischer Art und Pläne für Eingriffsmechanismen im Falle von Fehlverhalten, angemessene Kontrollen sowie Überprüfungen, Durchführung stichprobenartiger sowie überraschender Prüfungen. Im Falle einer Verteilung von Aufsichtspflichten liegen die Oberaufsicht sowie die volle Verantwortung stets bei der Geschäftsführung.

Kontrollinstrumente definieren und umsetzen

In Abhängigkeit von der Unternehmensgröße und -komplexität, ob es ein Produktions-, Handels- oder Dienstleistungsunternehmen ist, müssen Unternehmen Instrumente definieren, die Schwachstellen im Unternehmen aufdecken und schnelles Handeln ermöglichen (siehe Kasten unten).

„Wichtig ist, dass Betriebe im Rahmen der Unternehmenssteuerung Prämissen formulieren, unter denen die Zukunft gut zu planen ist“, sagt Ecovis-Unternehmensberater Fischer. „Spätestens nach dem klarstellenden Urteil des OLG Nürnberg ist auch die Implementierung eines Überwachungssystems, das die Einhaltung zuvor definierter Compliance-Richtlinien sicherstellt, für einen Geschäftsführer alternativlos“, sagt Ecovis-Experte Büscher.

Auf was Unternehmen jetzt achten sollten

Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer haben immer mehr Pflichten. Neben der Liquiditätssicherung sind sie jetzt nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg gehalten, Kontroll- und Überwachungsmechanismen im Unternehmen einzuführen. Ecovis empfiehlt Unternehmen daher, Maßnahmen zu ergreifen (Auswahl):

  • Erstellen und/oder aktualisieren der Planungsrechnung, insbesondere der Liquiditätsplanung.
  • Prüfen der variabel verzinsten Kreditverträge im Hinblick auf Anpassungsregelungen.
  • Neuberechnen des Darlehens unter Berücksichtigung der Zinsanpassungen in einem Planungsprogramm, um die zukünftige Liquiditätsbelastung
  • Teure Kreditverträge als Erstes tilgen.
  • Die Kundenzahlungsziele reduzieren und die Gläubigerzahlungsziele
  • Prüfen, wann Investition oder Instandhaltung besser ist.
  • Implementieren eines Compliance-Management-Systems, um Fehlverhalten und Missstände schnell zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten zu können.

 

Dr. Holger Fischer
Unternehmensberater in Nürnberg
Tel.: +49 911 20 68 5-36
Marcus Büscher
Rechtsanwalt in Düsseldorf
Tel.: +49 211-90 86 70

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