Rentenpflicht für Selbstständige: Bald muss jeder zahlen
Die von den Regierungsparteien geplante Rentenversicherungspflicht für Selbstständige naht. Doch auch mit Wahlrechten und Ausnahmen ist zu rechnen.
Das letzte Sicherheitsnetz im Alter ist für immer mehr Menschen die staatliche Grundsicherung. Sie liegt bei circa 800 Euro monatlich. Derzeit beziehen etwa drei Prozent – also rund 500.000 – aller über 65-Jährigen Grundsicherung, um ihre Rente auskömmlich aufzustocken. Doch Studien zufolge dürfte sich dieser Anteil schon bis 2030 verdoppeln. Die Politik will daher schon jetzt gegensteuern. Geplant ist dabei auch eine Rentenversicherungspflicht für Selbstständige. Denn viele von ihnen tragen ein besonderes Risiko, wenn sie die Vorsorge vernachlässigen. Zwingt der Staat also künftig auch gestandene Unternehmer zur Absicherung des Ruhestands? Wie genau wird der Zwang aussehen, und worauf sollten sich Selbstständige vorbereiten?
Der Countdown läuft
Fakt ist: Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag die Einführung einer Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen vereinbart. Im Rahmen einer „Opt-out-Lösung“ soll es aber auch eine einmalige Wahlmöglichkeit zwischen Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung oder in eine andere geeignete Art der Altersvorsorge geben. Selbstständige könnten sich also vielleicht auch für eine private Versicherungspolice oder eine Form der betrieblichen Altersversorgung entscheiden. In jedem Fall aber will die Regierung verpflichtende Vorgaben schaffen. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) geht davon aus, dass mit dem Start des Gesetzgebungsverfahrens im Jahr 2019 zu rechnen ist. „Noch ist offen, wie die Koalitionsvereinbarungen konkret umgesetzt werden und inwieweit es Ausnahmeregelungen geben wird“, sagt Marcus Bodem, Rechtsanwalt bei Ecovis in Berlin.
Kein Grund für Aktionismus
Zu klären wird noch sein, ob bestimmte Altersgruppen, also etwa ältere Selbstständige, von der Vorsorgepflicht ausgenommen werden. Dem Koalitionsvertrag zufolge soll die Altersvorsorgepflicht zudem „gründerfreundlich“ sein. Was das aber genau bedeutet, ist ebenfalls noch nicht klar formuliert. „Es gibt keinen Grund für voreiliges Handeln, denn im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens kann sich noch vieles ändern“, sagt Bodem. Offen ist auch, welche Arten der privaten Vorsorge genau unter die optionale Alternative zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) fallen. Die Koalitionsparteien haben dazu nur unpräzise Begriffe wie „geeignet“ und „insolvenzsicher“ formuliert sowie die Forderung, dass die Vorsorgearten „in der Regel zu einer Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen müssen“.
Alternativen sind vorgesehen
Ein Forschungsbericht der Universitäten Köln und Hannover für das Bundesarbeitsministerium nennt als Beispiel für ein mit der Altersrente der GRV gleichwertiges privates Rentenprodukt die Rürup-Rente (Basisrente), die nicht vererbbar, beleihbar oder kapitalisierbar ist. Wer sich jetzt schon Gedanken über Handlungsoptionen machen will, könnte sich von Experten die Renditeprognosen einer Rürup-Rente vorrechnen lassen und sie mit den zu erwartenden Leistungen der GRV vergleichen. Ein Abschluss allein mit Blick auf die neue Vorsorgepflicht ist allerdings erst dann empfehlenswert, wenn detaillierte Vorgaben des Gesetzgebers vorliegen. „Dann ist zu überlegen, ob es Gestaltungsmöglichkeiten gibt, um verpflichtenden Einzahlungen in die GRV zu entgehen“, sagt Silke Grieger, Steuerberaterin bei Ecovis in Rostock.
Vorsorgebedarf haben Selbstständige allemal. Nur 20 Prozent von ihnen fallen heute bereits unter die obligatorische Versicherungspflicht der GRV, berufsständischer Versorgungswerke und der Alterssicherung der Landwirte. Umgekehrt heißt das: 80 Prozent müssen selbst vorsorgen. „Auch ungeachtet einer gesetzlichen Pflicht ist es ratsam, die Ruhestandsabsicherung stets im Auge zu behalten“, rät Grieger. Selbstständige sollten dabei nicht nur auf den Wert ihres Unternehmens setzen, sondern auch an Immobilien, private Versicherungspolicen und andere Sparformen bis hin zur Wertpapieranlage denken.
Freiwillig zahlen ist auch möglich
Angesichts niedriger Marktzinsen sind für den einen oder anderen Selbstständigen vielleicht auch freiwillige Einzahlungen in die gesetzliche Rentenkasse attraktiv. „Grundsätzlich haben alle Selbstständigen, die noch keine Rente erhalten, das Recht dazu. Über die Beitragshöhe können sie im Rahmen bestimmter Grenzen selbst entscheiden“, sagt Grieger. Im Jahr 2019 liegt der Mindestbeitrag bei 1.004,40 Euro jährlich und das Maximum bei 14.954,40 Euro pro Jahr. Besonders attraktiv kann das sein, wenn schon einmal – etwa während der Ausbildung oder der Erziehung von Kindern – Zeiten in der GRV angesammelt wurden.
Für viele gilt die Vorsorgepflicht schon jetzt
Viele Angehörige selbstständiger Berufsgruppen müssen sich jetzt schon in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichern. Handwerker und Bäcker gehören dazu ebenso wie etwa Tennislehrer, Coaches oder Optiker. Auch Künstler und Publizisten sind rentenversicherungspflichtig, wobei bei ihnen der Staat und die Auftraggeber die Hälfte des Beitrags übernehmen. Ärzte, Apotheker oder Architekten dagegen sind von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit, weil sie in ihren berufsständischen Versorgungswerken pflichtversichert sind.
Vorsicht: arbeitnehmerähnliche Selbstständige
Nur allzu häufig übersehen Solo-Selbstständige, dass auch sie unter die gesetzliche Rentenpflicht fallen. Sie werden als arbeitnehmerähnliche Selbstständige eingestuft, wenn sie regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und auf Dauer vorwiegend für einen Auftraggeber tätig sind. „Wer möglicherweise betroffen ist, sollte seinen Status genau prüfen“, sagt Grieger. Das gilt auch mit Blick darauf, dass sich Solo-Selbstständige in der für drei Jahre geltenden Existenzgründungsphase von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen können.
Wer schon jetzt pflichtversichert ist
Ob Heizungsbauer oder Konditor, ob Lehrkraft oder Dachdecker: Bestimmte Berufsgruppen müssen bereits heute in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlen. Dazu gehören:
- Handwerker, die in die Handwerksrolle eingetragen sind
- Lehrkräfte ohne eigene Arbeitnehmer. Darunter fallen beispielsweise auch Nachhilfe-, Golf- oder Aerobic-Lehrer sowie Coaches und Trainer
- Erzieher sowie Tagesmütter ohne eigene Arbeitnehmer
- Beschäftigte in der Pflege, wenn sie überwiegend auf ärztliche Anordnung handeln
- Hebammen und Entbindungspfleger
- Seelotsen (außer Binnenlotsen, die Travelotsen und die Lotsen der Flensburger Förde)
- Küstenschiffer und -fischer unter bestimmten Voraussetzungen
- Künstler und Publizisten
Silke Grieger, Steuerberaterin bei Ecovis in Rostock
Marcus Bodem, Rechtsanwalt bei Ecovis in Berlin
Tipp
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