So gewinnen und halten Sie Mitarbeiter
Die Unternehmen konnten Jahrzehnte aus dem Vollen schöpfen. Es gab Personalüberhang. Doch der Wind hat sich gedreht. Es fehlen Mitarbeiter, und das hat volkswirtschaftliche Konsequenzen.
Bis auf wenige Ausnahmen konnten Arbeitgeber in den vergangenen Jahren die angebotenen Arbeitsplätze adäquat besetzen. Auch die Arbeitskosten stiegen in der Bundesrepublik im internationalen Vergleich eher unterdurchschnittlich. Inzwischen hat sich der Arbeitsmarkt – und es war lange angekündigt – vollständig gedreht. Waren 2009 rund 300.000 offene Arbeitsplätze in Deutschland gemeldet, lag deren Anzahl 2017 bereits bei über 789.000, Tendenz steigend.
Wie sich Personalmangel auswirkt
Die Folgen sind auf volkswirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Ebene zu spüren. Vergleichen wir das Jahr 2009 kurz nach der Weltfinanzkrise mit dem Jahr 2018. So könnten in der Bundesrepublik aktuell knapp 500.000 Menschen mehr beschäftigt werden. Damit wäre das Sozialprodukt um die Leistungskraft dieser zusätzlichen Menschen höher. Dies würde sich im Finanzhaushalt der Bundesrepublik widerspiegeln und das Steueraufkommen erhöhen. Stünden diese Arbeitskräfte zur Verfügung, würden sich auch die Preise für Arbeitsleistungen nicht in dem Maße erhöhen, wie es sich in jüngster Zeit abzeichnet.
Geht man davon aus, dass weder eine mögliche zweite Finanzkrise noch ein aufkeimender Handelskrieg die positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung hemmt, dann wird sich der Personalmangel zuspitzen. Grund: Die Babyboomer-Jahrgänge gehen nach und nach in den Ruhestand. Die nachrückenden Jahrgänge am anderen Ende der Bevölkerungspyramide sind deutlicher kleiner.
Was das bedeutet? Der Jahrgang 1953 ist 998.000 Menschen stark und hat im Jahr 2018 das Regelrentenalter erreicht. Dem steht am anderen Ende der Jahrgang 1995 gegenüber; Personen, die in diesem Jahr 23 Jahre alt sind. Dieser Jahrgang ist nur 872.000 Menschen stark. Der negative Saldo beträgt 126.000 Menschen und wächst Jahr für Jahr.
Kampf um die Talente
Je weniger Menschen, desto größer wird der Wettbewerb um die Arbeitskräfte. Mittlerweile findet dieser nicht mehr nur zwischen Unternehmen ähnlicher Größenordnung statt, sondern branchenübergreifend zwischen allen Unternehmen. Das trifft besonders Bundesländer mit einer starken Wirtschaft. Bei faktischer Vollbeschäftigung und einer großen Zahl von namhaften Firmen streben die Arbeitskräfte tendenziell zum größeren Unternehmen. Sozialprestige, scheinbar mehr Sicherheit, größere Entwicklungspotenziale, höheres Arbeitsentgelt oder bessere Sozialleistungen sind Argumente, denen sich die Arbeitnehmer nicht verschließen. „Das trifft kleine und mittlere Unternehmen doppelt. Einerseits tendieren Jobsuchende zu großen Firmen und andererseits kommen viel zu wenig Menschen nach, die überhaupt nach Arbeit suchen“, sagt Holger Fischer, Unternehmensberater bei Ecovis in Würzburg. Das hat massive Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit von Betrieben, deren Wachstum sowie auf die Volkswirtschaft insgesamt.
Wie Betriebe gegensteuern können
Im ersten Schritt sollten Unternehmen erkennen, dass sich der Wind gedreht hat, und konsequent agieren. Im zweiten Schritt sollten Arbeitgeber daran arbeiten, glaubhaft zu sein, und entsprechende Personalentwicklungs-Pakete schnüren (siehe Tabelle). „Oft wird übersehen, dass ausländische Arbeitnehmer oder Quereinsteiger für den eigenen Betrieb infrage kommen können. Das erfordert zwar einige Vorarbeiten und einen guten Plan, wie diese Kolleginnen und Kollegen zu integrieren sind. Das ist aber durchaus lohnenswert“, sagt Bernd Dobmann, Personalleiter bei Ecovis in München.
Dazu kommt, dass Personalmarketing, Unternehmenswerte und -kultur oder Unternehmensleitlinien keine oberflächlichen Begriffe sein dürfen, denen anzumerken ist, dass sie nur der Arbeitnehmergewinnung dienen. Diese Begriffe sind den Mitarbeitern zu vermitteln und im Unternehmen zu leben. „Gerade mittelständische Familienunternehmen können hier punkten und glaubhaft darauf hinweisen, dass sie beispielsweise in der letzten Finanzkrise im Gegensatz zu den Großunternehmen viel mehr zu ihren Mitarbeitern standen“, sagt Dobmann. Die größere Nähe zum Mitarbeiter, die Sichtbarkeit des Einzelnen im Unternehmen, eigene Verantwortungsbereiche und mehr Freiraum bei der Gestaltung der Arbeit ist vielen Mitarbeitern zusehends wichtig.
Konzentrationsprozess wird weiter fortschreiten
Sicherlich werden viele mittelständische Unternehmen die neuen Herausforderungen erfolgreich bewältigen. Insgesamt aber wird sich die Volkswirtschaft weiter konzentrieren. „Künftig wird es weniger familiengeführte KMU geben. Die Summe ihrer wirtschaftlichen Leistung am Sozialprodukt wird relativ abnehmen. Auch die Zahl der dort Beschäftigten wird kleiner“, prognostiziert Fischer. Im Gegenzug wird die durchschnittliche Größe von KMU zunehmen. „Nur wer als Unternehmer überzeugt, eine überdurchschnittliche Unternehmenskultur anbietet und flexibel ist, wird den Wettbewerb um Talente gewinnen. Und damit ist auch eine gute Basis zum Erhalten des eigenen Betriebs gelegt“, sagt Fischer.
Was Mittelständler tun können, um Personal zu gewinnen und Wachstum zu halten
Für bestehende Mitarbeiter
• Durchschnittliche Arbeitszeiten erhöhen bei vollem oder überdurchschnittlichem Lohnausgleich |
• Teilzeitarbeit aufstocken |
• Halteprämien zahlen |
• Renteneintritt hinausschieben |
• Gesundheitsangebote für die Belegschaft entwickeln |
• Maßnahmen entwickeln, die Krankenstand und weitere Ausfallzeiten minimieren |
• Freiwillige Sozialleistungen und steuerfreie Arbeitgeberleistungen anbieten |
• Hilfe für werdende Eltern (Flexibilität, Kinderbetreuung, Toleranz) |
• Homeoffice zulassen |
Für neue Mitarbeiter
• Eigene Berufsausbildung mit zusätzlichen Anreizen |
• Duale Ausbildungsprogramme anbieten |
• Arbeitslose qualifizieren, gezielt Quereinsteiger ansprechen |
• Integration und Qualifizierung von Migranten, Zuwanderern |
• Arbeitskräfte aus dem Ausland gewinnen |
• Überarbeitung des eigenen Anforderungsprofils |
• Arbeitsplätze auf die zu gewinnenden Arbeitskräfte anpassen |
• Ruheständler zurückholen |
• Ansprache von Klein- und Kleinstselbstständigen (Rückkehr in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung) |
• Regionale Ausweitung der Suche nach Arbeitskräften; gezielte Ansprache in strukturschwachen Regionen |
Unternehmensstrategie
• Produktions- und Effizienzsteigerungsprogramme |
• Digitalisierungsmöglichkeiten ausloten und Prozesse anpassen |
• Image als Arbeitgeber verbessern |
• Image der Berufe im Unternehmen verbessern |
• Kapazitätsgrenzen ausreizen |
• Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland |
• Zusammenarbeit, Fusionen, Kooperationen auf horizontaler und vertikaler Ebene mit anderen Unternehmen der Branche |
• Outsourcing einzelner Tätigkeiten |
• Preiserhöhungen |
Tipp
Tun Sie Ihren Mitarbeitern etwas Gutes mit steuerfreien und pauschal versteuerten Arbeitgeberleistungen. Mehr dazu in der Broschüre „Steuerfreie Arbeitgeberleistungen“: www.ecovis.com/steuerfrei
Holger Fischer, Unternehmensberater bei Ecovis in Würzburg